Rotkäppchen: Lustiger Märchentext

Rotkäppchen – Wie es Erich Honecker erzählte

Rotkäppchen war gerade dabei, ein frohes Jugendleben zu entfalten, da kehrte die Mutter von der Versammlung der Haus- und Hofgemeinschaft zurück. Sie begrüßte das Rotkäppchen mit der Losung Junger Pioniere: „Bildet Timur-Trupps und helft unseren Parteiveteranen bei der verlustlosen Einbringung der Gartenernte!“

„Rotkäppchen“ – schlußfolgerte sie – „nimm in dein Aktionsprogramm auch einen Besuch bei der Großmutter, der verdienten Parteiveteranin, auf! Überreiche ihr aus Anlass des 15jährigen Jubiläums der Rentenerhöhung ein Stück Obstkuchen mit Schlagcreme und eine Weinflasche mit Faßbrause. Sie werden die Großmutter stärken zu guten Taten für den Sozialismus und im Kampf um die allseitige Durchsetzung der Neurermethoden auf dem Gebiet einer kulturvollen Heimgestaltung. Weiche nicht vom Bitterfelder Weg ab, und wenn du in den Wald gehst, ermahne dich zu erhöhter Wachsamkeit gegenüber den parteifeindlichen Umtrieben des bösen Wolfes. Seinen satirischen und dogmatischen Einflüsterungen, die vom Klassenfeind diktiert sind, darfst du nicht zum Opfer fallen. Vergiß nicht das blaue Halstuch und die rote Kappe. Seid bereit!“

„Immer Bereit“ antwortete etwas traurig das Rotkäppchen, denn es hätte gern weiter ein frohes Jugendleben entfaltet.

Aber eingedeckt der 10 Gebote der sozialistischen Moral und aufgrund seines kämpferischen Klassenbewußtseins schätze es die Perspektiven seiner jugendlichen Entwicklung richtig ein und machte sich auf den Weg.

Bei seiner Wanderung kam das Rotkäppchen an eine Wiese, die einen Überplanbestand schöner Blumen beinhaltete. Dem Rotkäppchen gelang es, diese ungenutzten Reserven aufzudecken und sie, unter Geringhaltung der Ausschussquote, für die Produktion eines Blumenstrausses zu erschließen. Als Rotkäppchen gerade dabei war, in ihr Produktionsprogramm auch die Einführung einer Pausengymnastik mit aufzunehmen, erschien der böse Wolf.

„Freundschaft“, sagte der Wolf.

„Was machst du denn hier?“

„Ich entwickle Initiative zum Besuch der Großmutter und versuche neue Wege zu beschreiten.“

„Laß uns eine Plandiskussion führen über den komplexen Einsatz bei der Veteranin.“ antwortete der Wolf „Wir wollen beide als Kollektiv ein Kulturprogramm aufstellen und in Kooperation ein agitatorisch-propagandistisches Programm erstellen. Erstürmt die Höhen der Kultur!“

Doch im gleichen Augenblick wurde ihm ein Verbesserungsvorschlag bewußt. Er setzte den ökonomischen Hebel an und veränderte den Planentwurf dahingehend, daß er im programmatischen Vorgehen in Teilabschnitten erst die Großmutter und dann das Rotkäppchen seinen Versorgungsplänen einverleiben wollte. So verstieß er gegen die Richtlinien des Jugendförderungsprogramms, und Rotkäppchen sah sich allein gelassen.

Kurz darauf stand der verbrecherische Wolf vor dem Wohnblock, in dem die Großmutter durch Beziehung im Veteranenclub eine Parterrewohnung bekommen hatte. Eingedeckt der Devise „Jeder Mann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport“ sprang er durch das – entgegen den Vorschriften der staatlichen Versicherung der DDR- offenstehende Fenster. Mit der kranken Großmutter ließ er sich auf keine Diskussion ein, sondern diktierte der Großmutter unter Mißachtung der Beratung durch die Führungsgremien einseitig seine Meinung, indem er sie einfach auffraß.

Danach versuchte der gefährliche Agent sich zu tarnen. Er zog Großmutters Nachthemd aus Dederon an und legte sich mit dem Krankenschein der SVK in der Pfote ins Bett. Nach einer kurzen Weile, in dem Bestreben, die Wartezeit zu verkürzen, betrat auch Rotkäppchen die AWG-Wohnung der Großmutter.

Als Rotkäppchen die unrealistische Großmutter erblickte, erschrak es sehr.

„Großmutter, warum hast du so große Augen?“

„Ich habe eine Halbtagsbeschäftigung als Güterkontrolleur angenommen!“

„Aber Großmutter, warum hast du dann so große Ohren?“

„Ich betätige mich als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit!“

„Großmutter, warum hast du aber einen so großen Mund?“

„Weißt du denn nicht, daß ich Chefkommentator beim demokratischen Rundfunk war?“

Der Wolf beendete die kämpferische Auseinandersetzung durch positive Überzeugungsarbeit, indem er auch das Rotkäppchen mit Haut und Haaren auffraß. Dann legte er sich schlafen und produzierte Schnarchtöne der Güteklasse „Q“ im Weltmaßstab.

Mit einem „Spatz“ vom VEB Simson-Suhl kam auf der Suche nach einer Vertragswerkstatt ein Mitglied des Jagdkollektivs daher. Zufällig führte der Jäger seine Thälmannsuperflinte 2. Wahl mit sich. Dem Wolf wurde das zum Verhängnis, da er er es an der nötigen Wachsamkeit hatte fehlen lassen. Mit Hilfe der Hinweise aus der Bevölkerung gelang es dem Jäger, den Wolf zu identifizieren und als Geheimagent der imperialistischen Ultras zu entlarven. Er realisierte die Tötung der scheußlichen Bestie und befreite das Rotkäppchen und die Großmutter aus dem Leibe des bösen Wolfes.

Doch bevor sie den Tag der Befreiung mit Erstellung eines Kulturprogramms feierten, verfasste das Rotkäppchen einen Artikel für die „Junge Welt“, mit dem sie Kritik ihrer falschen Verhaltensweise annahm und sich vom vertrauensseligen Versöhnlertum dem Wolf gegenüber distanzierte. Der Jäger hatte durch seine Befreiung der Großmutter und des Rotkäppchens 2 Arbeitskräfte aus der nacharbeitenden Bevölkerung zusätzlich erschlossen und damit einen Zuwachs um etwa 2000,63 Mark erzielt. Er erhielt eine Prämie von 300,-Mark, außerdem wurde ihm für seine Tat eine Aufbaustunde im Rahmen seiner Selbstverpflichtung im NAW angerechnet.

Die Großmutter zeichnete freiwillig einen Betrag zugunsten der Volkssolidarität, und das Rotkäppchen ließ sich von der Großmutter die leere Weinflasche für die nächste Altstoffsammlung geben. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben alle drei noch heute.


 

Rotkäppchen – Wie es der Beamte erzählte

Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen genannt zu werden pflegt.

Der Mutter besagter R. wurde seitens deren Mutter ein Schreiben zugestellt, in welchem dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, worauf die Mutter der R. dieser die Auflage machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungs- und Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen. Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter schulisch über das Verbot betreffs Verlassens der Waldwege auf Kreisebene belehrt. Dieselbe machte sich infolge Nichtbeachtens dieser Vorschrift straffällig und begegnete beim Übertreten des diesbezüglichen Blumenpflückverbots einem polizeilich nicht gemeldeten Wolf ohne festen Wohnsitz. Dieser verlangte in unberechtigter Amtsanmaßung Einsichtnahme in das zu Transportzwecken von Konsumgütern dienende Korbbehältnis und traf in Tötungsabsicht die Feststellung, daß die R. zu ihrer verschwägerten und verwandten im Baumbestand angemieteten Großmutter eilends war.

Da wolfseits Verknappungen auf dem Ernährungssektor vorherrschend waren, faßte er den Beschluß, bei der Großmutter der R. unter Vorlage falscher Papiere vorsprachig zu werden. Weil dieselbe wegen Augenleidens krankgeschrieben war, gelang dem in Freßvorbereitung befindlichen Untier die diesfallsige Täuschungsabsicht, worauf es unter Verschlingen der Bettlägerigen einen strafbaren Mundraub zur Durchführung brachte.

Ferner täuschte das Tier bei der später eintreffenden R. seine Identität mit der Großmutter vor, stellte derselben nach und durch Zweitverschlingung der R. seinen Tötungsvorsatz erneut unter Beweis. Der sich auf dem Dienstgang befindliche Waldbeamte B. vernahm Schnarchgeräusche und stellte deren Urheberschaft seitens des Tiermauls fest. Er reichte bei seiner Dienststelle ein Tötungsgesuch ein, das dortseits zuschlägig beschieden und pro Schuß bezuschußt wurde. Nach Beschaffung einer Pulverschießvorrichtung zu Jagdzwecken gab er in wahrgenommener Einflußnahme auf das Raubwesen einen Schuß ab. Dieses wurde nach Empfangnahme des Geschosses ablebig. Die gespreizte Beinhaltung des Getöteten weckte in dem Schußgeber die Vermutung, wonach der Leichnam Personen beinhalte. Zwecks diesbezüglicher Feststellung öffnete er unter Zuhilfenahme eines Messers den Kadaver zur Einsichtnahme und stieß hierbei auf die noch lebhafte R. nebst Großmutter. Durch die unverhoffte Wiederbelebung bemächtigte sich beider Personen ein gesteigertes, amtlich zulässiges Lebensgefühl, dem sie durch großen Unfug, öffentliches Ärgernis, erregenden Lärm und Nichtbeachtung anderer Polizeiverordnungen Ausdruck verliehen, was ihre Haftpflichtmachung zur Folge hatte.

Der Vorfall wurde von den Kulturschaffenden Gebrüder Grimm zu Protokoll genommen und schwerbekinderten Familien in Märchenform zustellig gemacht.


 

Rotkäppchen – Wie es der Jurist erzählte

Es war einmal eine Minderjährige. Der Überlieferung nach im vorpubertären Alter. Die Eltern des Mädchens hatten ihr in Ausübung des ihnen gesetzlich eingräumten Namenbestimmungsrechts (§1627 Abs.1, 2 BGB) den Rufnamen Rotkäppchen gegeben, unbeanstandet vom Standesamt, das gemäß §§ 16, 17 des Personenstandsgesetzes nach gebundenem Ermessen hätte widersprechen können.

Rotkäppchen wurde von der Mutter beauftragt (§ 622 BGB), Kuchen und Wein zu der im Walde wohnenden kranken Großmutter zu bringen, ohne daß übermittelt ist, ob es sich dabei um die Großmutter väterlicher- oder mütterlicherseits handelte. Im Rahmen der Aufsichtspflicht (§ 832 BGB) erfolgte eine der nach herrschender Meinung ausreichende Belehrung vor den möglichen Gefahren des Weges. In ständiger Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, daß selbst bei einem 6jährigen Kind, soweit keine schädlichen Neigungen festgestellt werden, es ausreicht, vor den allgemein üblichen Gefahren einer Weggefährdung zu warnen, um alsdann das Kind unbewacht zu lassen; eine ständige Begleitung durch eine Aufsichtsperson wird nicht gefordert, ein ständiges Eingesperrtsein des Kindes in diesem Alter ist weder geboten noch aus erzieherischen Gründen erwünscht (VersR 1972, Seite 54)!

Entgegen dieser für ausreichend anzusehenden Belehrung ließ sich das Kind von einem der menschlichen Sprache mächtigen Wolf in ein Gespräch verwickeln und gab bei dieser Gelegenheit Informationen preis, die der Wolf arglistig zu seinem Vorteil ausnutzte. Die insoweit erfolgte Einlassung des Kindes hinsichtlich des Gesprächs mit dem Tier ist nicht zu widerlegen, zumal bekanntermaßen auch Loriot im Fernsehen einen sprechenden Hund vorführen konnte.

Die weiteren Angaben des Mädchens anläßlich seiner Vernehmung um die Vorkommnisse im Hause der Großmutter, daß nämlich der Wolf zunächst die Großmutter und alsdann nach einem etwas verfänglichem Gespräch auch Rotkäppchen bei lebendigem Leibe verschlungen habe, wurde indirekt durch die Zeugenaussage des Jägers bestätigt, der durch Aufschneiden des sich im Tiefschlaf befindlichen Wolfs die beiden Personen unverletzt befreite. Als Präjudiz kann auf den Propheten Jonas verwiesen werden, von dem in der Bibel überliefert ist, daß er zunächst von einem Fisch (Jonas 2,1) verschlungen und nach 3 Tagen – möglicherweise wegen Unbekömmlichkeit – wieder ausgespuckt wurde (Jonas 2,11).

Das Aufschneiden des Wolfs durch den Jäger ist tatbestandsmäßig als verbotene Vivisektion zu werten. Die mögliche Einlassung des Jägers, eine Tötung des Tieres – etwa durch Kopfschuß – sei wegen der gerade laufenden Schonzeit nicht zumutbar gewesen, wäre eine Schutzbehauptung und darum unbeachtlich. Wegen des vorhandenen Notstandes entfällt jedoch zumindest der Schuldvorwurf, was eine Bestrafung ausschließt (§ 35 StGB).

Dagegen ist der Jäger wegen Tierquälerei nach dem Tierschutzgesetz zu bestrafen, soweit er als Mittäter gemeinschaftlich handelnd (§ 25 Abs.2 StGB) mit der gleichfalls straffälligen Großmutter und dem noch nicht strafmündigem Rotkäppchen (§ 19 StGB) den aufgeschnittenen Wolf mit schweren Feldsteinen füllte und so den qualvollen Tod des Tieres herbeiführte. Die verwirkte Strafe wäre jedoch mit Rücksicht auf die zuvor erbrachte Hilfeleistung zur Bewährung auszusetzen.

Dem Vernehmen nach soll Rotkäppchen später mit dem Jäger die Ehe eingegangen sein, beide sollen die Großmutter zu sich genommen haben.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lügen sie noch heute.


 

Rotkäppchen – Wie es der Mathematiker erzählte

Es war einmal ein Mädchen, dem wurde eindeutig eine rote Kappe zugeordnet, wodurch es als Rotkäppchen definiert wurde. „Kind“, argumentierte die Mutter, „werde kreativ, mathematisiere die kürzeste Verbindung zur Großmutter, analysiere aber nicht die Blumen am Wege, sondern formalisiere Deinen Weg in systematischer Ordnung.“ Rotkäppchen vereinigte einen Kuchen, eine Wurst und eine Flasche Wein zu einer Menge, hinterfragte nochmals den Weg und ging los.

Im Walde schnitt Ihr Weg, den Weg eines Wolfes. Er diskutierte mit Ihr über die Relevanz eines Blumenstraußes für die Großmutter und motivierte Sie, einen geordneten, höchstens abzählbaren Strauß zu verknüpfen. Inzwischen machte der Wolf die Großmutter zu einer Teilmenge von sich.

Als Rotkäppchen dann ankam fragte Sie: „Großmutter, warum hast Du so große Augen?“

„Ich habe gerade mein BAföG erhalten!“

„Großmutter, warum hast Du so große Ohren?“

„Ich habe versucht, Prüfungsfragen durch die Tür zu erlauschen!“

„Großmutter, warum hast Du einen so großen Mund?“

„Ich habe gerade versucht, das Mensa-Essen zu schlucken!“

Daraufhin machte sich der Wolf zur konvexen Hülle von Rotkäppchen.

Ein Jäger kam, sah eine leere Menge von Großmutter im Haus und problematisierte die Frage, bis sie transparent wurde. Dann nahm er sein Messer und machte aus dem Wolf eine Schnittmenge. Die im Wolf integrierten Personen wurden schleunigst von ihm subtrahiert. Zum Wolf wurde eine mächtige Menge von Steinen addiert. Er fiel in einen zylinderförmigen kartesischen Brunnen, bis seine Restmenge nicht mehr lebte.


 

Rotkäppchen – Wie es der Psychologe erzählte

Der vorliegende Fall, mit dem sich bereits namenhafte Psychologen beschäftigten, zeigt einmal mehr, welchen enormen Einfluß frühkindliche Prägungen auf die spätere Selbstfindung innerhalb der Gesellschaft haben.

Das 9jährige Mädchen, mit dem alles begann, hatte den Fetisch einer Roten Kappe zu eigen, die sie ständig trug und ihr so den Spitznamen Rotkäppchen einbrachte. Um ihre Handlungsmuster besser verstehen zu können, muß gesagt werden, daß sie nach dem frühen Tod ihres Vaters als Einzelkind von ihrer Mutter in eine Ersatzrolle geschoben wurde, mit der sie altersmäßig überfordert war. Da ihr außerdem ein gesundes Leitbild zur eigenen Identitätsfindung fehlte, wurde bereits im Alter von ca. 5 Jahren die Grundlage zu einem hysterisch-depressiven Wesen geschaffen.

Eines Tages beauftragte ihre Mutter Rotkäppchen, der hypochondrischen Großmutter, die durch ihr psychosomatisch bedingtes Hüftleiden so gut wie ans Bett gefesselt war, die täglichen Psychopharmaka zu bringen. Rotkäppchen, deren Unfähigkeit Bedürfnisspannen zu ertragen der Mutter unterbewusst durchaus bekannt war, wurde von ihr aufgefordert, sich nicht von ihrer Wunschbesessenheit und dem Drang zur Sofortbefriedigung überwältigen zu lassen, sondern auf direktem Wege zur Hütte der Großmutter zu gehen. Rotkäppchen gehorchte auch, bis sie einem großen, ungepflegten Wolf begegnete. In ihrer vorpubertären Naivität erkannte sie seinen äußerst stark erlebten Impuls zur Überkompensation von Aggressivität nicht.

Er schlug vor, der Großmutter einen Strauss Blumen von der nahegelegenen Wiese zu pflücken, denn als allgemeingesellschaftliches Symbol für Zuneigung würde dieser vielleicht die Angst der alten Frau mildern, nicht wirklich geliebt zu werden.

Als das naive Mädchen begann, gemäß ihrer persönlichen Farbpräferenzen Blumen auszuwählen, machte sich der Wolf auf den Weg zur Großmutter und sein aggressives Energiepotential entlud sich spontan, indem er die alte Frau auf der Stelle fraß. Als Rotkäppchen die Hütte betrat, bemerkte sie – als Selbstschutz bereits abgestumpft im Umgang mit der kränkelnden Frau – keinerlei Veränderung. Lediglich einige unwesentliche Äußerlichkeiten wurden ihr intuitiv bewusst und so fragte sie:

„Großmutter, warum hast Du so große Augen?“

„Damit ich Deine Körpersprache besser analysieren kann.“

„Aber Großmutter, warum hast Du so große Ohren?“

„Damit ich Deine Ängste besser verstehen kann.“

„Und – warum hast Du so einen großen Mund?“

„Damit ich Dir bessere Tips für Deine Ich-Findung geben kann.“

Mit diesen Worten verschlang der Wolf das Mädchen und fiel alsbald in einen traumlosen Schlaf.

Nun ereignete es sich zur selben Zeit, daß S. Freud dem Ursprung des Über-Ichs auf der Spur war, den er ganz in der Nähe dieser Hütte vermutete. Als er das laute Schnarchen des Wolfes hörte, fühlte er sofort, daß nur ein Wesen mit einer starken schizoiden Ausprägung solche Töne von sich geben könne. Immer auf der Suche nach aussagekräftigen Beispielfällen für sein neues Buch betrat er die Hütte, weckte vorsichtig den Wolf und versprach ihm 50 kostenlose Therapiestunden, wenn er ihm seine Lebensgeschichte erzählte.

Das nun Folgende ist ein erschreckendes Beispiel für die Auswirkungen intrafamiliärer Spannungen auf die Entwicklung eines Welpen.

Als Kleinstwolf von nur wenigen Wochen verließ sein Vater das Rudel und die Mutter begann ein Verhältnis mit einem gefürchteten Pittbul Terrier aus Hannovers Innenstadt. Dessen rauhe, um nicht zu sagen, brutalen Umgangsformen gegenüber den Welpen beeinflussten deren zart-sensibles Gefühlsleben nachhaltig. Da sie in der Folgezeit nicht die benötigte Atmosphäre der Geborgenheit fanden, um ein Urvertrauen in das Leben zu entwickeln, blieb die allererste Du-Findung aus und es entstand ein tiefes Mißtrauen gegen die Welt sowie das permanente Gefühl, sich zur Wehr setzten zu müssen. Die latente Unfähigkeit, adäquat zu kommunizieren verhinderte die spätere psychosoziale Selbstfindung.

Nach zwei gescheiterten Hypnoseversuchen, mehreren Zeichnungen und einem sehr intensiven Gespräch gelang es dem Meister der Psychoanalyse jedoch, das so lange vor der Umwelt versteckte, mitfühlende Ich des Wolfes anzusprechen und dieser übergab sich gerade noch rechtzeitig, um Rotkäppchen und seine Großmutter lebend herauszuwürgen.

Da Freud unmöglich alle drei Personen betreuen konnte – immerhin waren traumatische Folgen zu erwarten – holte er schnell einige Kollegen zur Stelle, um eine persönliche Betreuung während und nach dem Abklingen des akuten Schockzustandes zu gewährleisten.

Eine mehrjährige Therapie ermöglichte es Rotkäppchen und seiner Großmutter schließlich, ihre Klaustrophobie zu überwinden. Der verkannte und mißverstandene Wolf allerdings konnte mit seinen Schuldgefühlen nicht leben. Auch eine stationäre Behandlung hinderte ihn nicht daran, beim ersten Freigang aus seiner Kammer dem letztlich auf Selbstvernichtung ausgerichteten Todestrieb nachzugeben und sich in den klinikeigenen Brunnen zu stürzen.


 

Rotkäppchen – Wie es der Chemiker erzählte

Für das aus der Reaktion eines unbekannten Chemikers mit seinem weiblichen Reaktionspartner, der im folgenden kurz mit dem Trivialnamen Mutter bezeichnet wird, hervorgegangene Produkt hat sich in der internationalen Nomenklatur der Name ‚Rotkäppchen‘ allmählich durchgesetzt, das das seinen Kopf bedeckende Kunstfasergewebe mit dem roten Phenazinfarbstoff Safranin gefärbt war.

Aus einer Veröffentlichung in Carnevalistica Chimica Acta 11,11 entnahm die Mutter, dass der weibliche Reaktionspartner der Reaktion, bei der sie ihrerseits gebildet worden war – im folgenden mit Großmutter bezeichnet – einem Angriff von Stoffwechselprodukten von Bakterien ausgesetzt war. Die Großmutter reagierte exotherm, was an einer negativen Reaktionswärme zu erkennen war, die von ihrer Oberfläche an die sie umgebende Gasphase abgegeben wurde. Zur Erhöhung ihrer Aktivierungsenergie hatte sich die Großmutter auf einem sonst zu Reacrationszwecken des menschlichen Körpers dienenden Gestell ausgebreitet.

Die Mutter entnahm ihrer Chemikaliensammlung einige Flaschen mit Reagenzien , die geeignet waren, die schädlichen bakteriellen Stoffwechselprodukte nebst ihren Präparatoren aus der Großmutterlauge auszufällen. Die Reagenzien verpackte sie bruchsicher in einem mit Holzwolle ausgekleidetem Traggestell und beauftragte Rotkäppchen, dieses zur Großmutter zu befördern, es ermahnend, nicht das durch silikatische Gesteinsstücke befestigte Wegesystem zu verlassen.

Durch Anthocyaninfarbstoffe enthaltende Blütenblätter ließ es sich doch in die Cellulose-Lignin-Chlorophylll-Vorräte links und rechts der Wege locken. Dort begegnete es einem entlaufenen Versuchstier des physiologisch-chemischen Institutes namens Wolf. Dieses prüfte eingehend die Reagenzien und erkundigte sich nach ihrem Verwendungszweck.

Der Wolf, der nach einer Substanz suchte, um in seiner Verdauungsapparatur einen neuen Ansatz fahren zu können, kam auf den Gedanken, dazu Großmutterfleisch als geeignetes Substrat zu verwenden. Er legte rasch den Weg zur Großmutter zurück. Da das Tier annahm, dass Großmutterfleisch leicht oxydierbar sei, legte es auf schnelles Arbeiten wert und verwendete nicht wie bei früheren Reaktionsansätzen die von ihm entwickelte Fleischzerkleinerungsapparatur, die nach ihrem Erfinder auch Fleischwolf genannt wird, sondern zwängte die Großmutter in einem Stück in seinen Weithalskolben.

Da sich der angreifenden Säure jetzt nur eine geringe Oberfläche bot, war die Reaktionsgeschwindigkeit natürlich sehr niedrig, und der Wolf legte sich auf ein von vier Stativen gehaltenes Liegegestell. Um Wärmeverluste an die Umgebung zu vermeiden, isolierte er sich mit Kleidung und Federbett der Großmutter.

Das Rotkäppchen, das bald eintraf, identifizierte den Wolf infolge zu oberflächlicher Analysemethoden als Großmutter. Es begann vorsichtig, den aliquoten Teil einer mitgeführten Reagenzlösung in den vermeintlichen Großmutterhals einzupipettieren.

Der Wolf, der wegen der Reaktionshemmung in seinem Magen dringend einen Katalysator benötigte, glaubte diesen unter den Reagenzien zu erkennen und füllte sie alle in sich hinein, einschließlich Rotkäppchen und der ganzen Flasche Barbitursäurederivat, das der Großmutter eigentlich als Schlafmittel hätte dienen sollen.

Zur Erklärung dieses experimentellen Fehlers sei bemerkt, dass er mit sauberem präparativen Arbeiten nicht vertraut war.

Die danach zu erwartende Wirkung trat schnell ein. Der aufsichtsführende Chemiker, der vom Institut über das Entlaufen des Versuchstiers informiert worden war, fand den Wolf in diesem Zustand vor. Durch starkes Stossen in der Bauchapparatur wurde er auf eine vorschriftswidrige Beschickung aufmerksam. Er öffnete die Apparatur und konnte Großmutter und Rotkäppchen ziemlich intakt entnehmen. Sie waren kaum angeätzt.

Den Wolf, dessen Außenwände durch das starke Stoßen schon Sprünge aufwiesen, zertrümmerte er vollständig und warf ihn auf den Abfallplatz. Die beiden isolierten Substanzen wurden durch die plötzliche Lichteinstrahlung in einen angeregten Zustand versetzt. Die Schuhessige Energie wurde in Form von Translations-, Rotations- und Oszillationsbewegungen abgegeben. Der Vorfall wurde in einer Zuschrift an die Herausgeber von Grimms Annalen der Chemie veröffentlicht.


 

Rotkäppchen – Wie es der Informatiker erzählte

Es war einmal ein kleines, süßes Mädchen, das immer ein Käppchen aus rotem Samt trug. Aufgrund dieses Attributes erhielt es ein Assign unter dem symbolischen Namen Rotkäppchen.

Eines Tages sprach die Mutter: „Rotkäppchen, die Gesundheit deiner Großmutter hat einen Interrupt bekommen. Wir müssen ein Pflegeprogramm entwickeln und zur Großmutter bringen, um das Problem zu lösen. Verirre Dich jedoch nicht im Wald der alten Sprachen, sondern gehe nur strukturierte Wege. Nutze dabei immer eine Hochsprache der vierten Generation, dann geht es der Großmutter schnell wieder gut. Und achte darauf, daß Dein Pflegeprogramm transaktioniert wird, damit es die Großmutter nicht noch mehr belastet.“

Da der Weg zur Großmutter renetrant war, traf Rotkäppchen den Wolf. Er tat sehr benutzerfreundlich, hatte im Backround jedoch schon einen Abbruch programmiert. Während Rotkäppchen einen Go To ins Blumenfeld machte, ging der Wolf im Direktzugriff zur Großmutter und vereinnahmte Sie unverzüglich durch einen Delete. Ohne zu zögern gab er sich den Anschein kompatibel zu sein und nahm die logische Sicht der Großmutter an. Dann legte er sich in Ihren Speicherplatz.

Kurz danach lokalisierte auch Rotkäppchen die Adresse der Großmutter und trat in den Speicherraum. Vor der Installation des Pflegeprogramms machte Rotkäppchen sicherheitshalber einen Verify und fragte:

„Ei Großmutter, warum hast Du so große Augen?“

„Weil ich zufriedene Endbenutzer gesehen habe.“

„Ei, Großmutter warum hast Du so große Ohren?“

„Damit ich die wünsche der User besser verstehen kann.“

„Ei, Großmutter warum hast Du so ein entsetzlich großes Maul?“

„Damit ich Dich besser Canceln kann!“

Sprach’s und nahm das arme Ding als Input. Nach ein Logoff begab sich der Wolf zur Ruhe, schlief ein und begann laut zu schnarchen.

Als der Jäger auf seinem Loop durch den Wald am Haus der Großmutter vorbeikam, sah er durch sein Window den Wolf im Bett liegen.

„Finde ich Dich hier Du alter Sünder“, sprach er, „ich habe Dich lange gesucht!“ Als Kenner der Szene analysierte er sofort, daß nach den Regeln der Booleschen Algebra die Großmutter nur im Bauch des Wolfes sein konnte. Er nahm sein Messer, teilte den Bauch des Wolfes in mehrere Sektoren und machte, welch Freude, die Großmutter und das Rotkäppchen wieder zu selbstständigen Modulen.

Als Input für den Bauch des Wolfes nahmen sie viele Kilobyte Steine und beendeten die Operation mit einem Close. Als der Wolf erwachte, verursachte ihm sein dermaßen aufgeblähter Hauptspeicher solche Schmerzen, daß er an einer Storage Violation jämmerlich zugrunde ging. Da waren alle vergnügt.

Das Pflegeprogramm aktivierte die Großmutter. Rotkäppchen aber dachte: „Du willst den Lebtag nie wieder einen Go To machen, sondern nur noch strukturierte Wege gehen, wie Dir’s die Mutter geboten hat.“


 

Rotkäppchen – Wie es der Linguist erzählte

Es war einmal ein spezifiziertes Subjekt (Käppchen), dem wurde ein Feature (+rot) zugeordnet.

GROSSMUTTER zeigt negative Evidenz für die Wohlgeformtheitsbedingungen ihrer Oberflächenstruktur, und MUTTER postulierte die probabilistische Strategie: „Bewege diesen Output zyklischer Transformationen (Kuchen+Wein) zu GROSSMUTTER. Verstoße dabei nicht gegen die Weg-Insel-Beschränkung.“

Die Strategie war funktional, scheiterte jedoch an dem Merkmalsbündel WOLF (+böse), das sich in der Distribution WALD befand. WOLF dekodierte die Bewegungsregel von ROTKÄPPCHEN, plazierte sich vor diesem in die vorgesehene Position und wendete auf GROSSMUTTER eine Tilgungstransformation an.

Ein explorativ orientierter JÄGER sensierte auditiv Dreikonsonantenkluster mit Sonoritätsgipfel und klassifizierte das Lautkontinuum als Schnarchen. Nachdem er sich in eine benachbarte Position bewegt hatte, analysierte er messerscharf die signifikante Tiefenstruktur „WOLF – MAGEN: (Großmutter + Rotkäppchen)“.

Damit überließ er das Phänomen seinem Schicksal und eilte zum Schreibtisch, wo er diese innovatorische Erkenntnis in einer 200 Seiten langen Arbeit niederlegte, mit der er die Umformulierte Normaisierte Standardisierte Intensivierte Nullifizierte Nominalphraseologie (UNSINN) realisierte. Durch minimale Faktorisierung wurde er auf einen professoralen Hochsitz passiviert.

Und wenn er nicht getilgt wurde, sitzt er dort heute noch.


 

Rotkäppchen – Wie es der Lateingeplagte erzählte

Rotkäppchen, das ein kleines Mädchen, das lange schwarze Zöpfe, an denen rote Haarspangen befestigt waren, hatte, war, wurde vor langer Zeit einmal von ihrer Mutter von zu hause auf’s Land, wo einmal ein Wald, in dessen Mitte eine große Lichtung mit vielen Blumen, auf der ein kleines Haus, das eine große braune Türe, die in das Wohn- und Schlafzimmer, in welchem wiederum ein großes Bett, das aus schwerem Ebenholz, auf das man ein gutes Stück Gewicht, wie zur Zeit das der alten Oma, die seit einiger Zeit sehr krank war, legen konnte, gebaut war, stand, führte, hatte, stand, lag, war, geschickt um ihr einen Korb, in dem sehr viele gute Dinge, die viele Vitamine, die zur Bekämpfung der Krankheit, die die Oma, wie der Arzt, der in der Stadt in einem Haus … (auf dessen Beschreibung ich hier nicht eingehen möchte) wohnte, gesagt hatte, hatte, geeignet waren, beinhaltete, befanden, zu bringen.

Der Wolf kommt im nächsten Satz.


 

Rotkäppchen – Wie es Joachim Ringelnatz erzählte

Also Kinners, wenn ihr mal fünf Minuten lang das Maul halten könnt, dann will ich euch die Geschichte vom Rotkäppchen erzählen, wenn ich mir das noch zusammenreimen kann. Der alte Kapitän Muckelmann hat mir das vorerzählt, als ich noch so klein und so dumm war, wie ihr jetzt seid. Und Kapitän Muckelmann hat nie gelogen.

Also lissen tu mi. Da war mal ein kleines Mädchen. Das wurde Rotkäppchen angetitelt – genannt heißt das. Weil es Tag und Nacht eine rote Kappe auf dem Kopfe hatte. Das war ein schönes Mädchen, so rot wie Blut und so weiß wie Schnee und so schwarz wie Ebenholz. Mit Rotkappchen so große runde Augen und hinten so ganz dicke Beine und vorn – na, kurz eine verflucht schöne, wunderbare, saubere Dirn.

Und eines Tages schickte die Mutter sie durch den Wald zur Grossmutter; die war natürlich krank. Und die Mutter gab Rotkäppchen einen Korb mit drei Flaschen spanischem Wein und zwei Flaschen schottischem Whisky und einer Flasche Rostocker Korn und einer Flasche Schwedenpunsch und einer Buttel mit Köm und noch ein paar Flaschen Bier und Kuchen und solchem Kram mit, damit sich Großmutter mal erst stärken sollte.

„Rotkäppchen“, sagte die Mutter noch extra, „geh nicht vom Wege ab, denn im Walde gibt’s wilde Wölfe!“ (Das ganze muss sich bei Nikolajew oder sonstwo in Sibirien abgespielt haben.) Rotkäppchen versprach alles und ging los. Und im Walde begegnete ihr der Wolf. Der fragte:

„Rotkäppchen, wo gehst du denn hin?“

Und da erzählte sie ihm alles, was ihr schon wisst. Und er fragte: „Wo wohnt denn deine Großmutter?“

Und sie sagte ihm das ganz genau: „Schwiegerstrasse dreizehn zur ebenen Erde.“

Und da zeigte der Wolf dem Kinde saftige Himbeeren und Erdbeeren und lockte sie so vom Wege ab in den tiefen Wald. Und während sie fleißig Beeren pflückte, lief der Wolf mit vollen Segeln nach der Schwiegerstrasse Nummero dreizehn und klopfte zur ebenen Erde bei der Großmutter an die Tür.

Die Großmutter war ein misstrauisches, altes Weib mit vielen Zahnlücken. Deshalb fragte sie barsch:

„Wer klopft da an mein Häuschen?“

Und da antwortete der Wolf draußen mit verstellter Stimme: „Ich bin es, Dornröschen!“

Und da rief die Alte: „Herein!“

Und da fegte der Wolf ins Zimmer hinein. Und da zog sich die Alte ihre Nachtjacke an und setzte ihre Nachthaube auf und fraß den Wolf mit Haut und Haar auf.

Unterdessen hatte sich Rotkäppchen im Walde verirrt. Und wie so pissdumme Mädel sind, fing sie an, laut zu heulen. Und das hörte der Jäger im tiefen Wald und eilte herbei. Na – und was geht uns das an, was die beiden dort im tiefen Walde mitnander vorgehabt haben, denn es war inzwischen ganz dunkel geworden, jedenfalls brachte er sie auf den richtigen Weg. Also lief sie nun in die Schwiegerstrasse. Und da sah sie, dass ihre Großmutter ganz dick aufgedunsen war. Und Rotkäppchen fragte:

„Großmutter, warum hast du denn so große Augen?“

Und die Großmutter antwortete: „Damit ich dich besser sehen kann!“

Und da fragte Rotkäppchen weiter: „Großmutter, warum hast du denn so große Ohren?“

Und die Großmutter antwortete: „Damit ich dich besser hören kann!“

Und da fragte Rotkäppchen weiter: „Großmutter, warum hast du denn so einen großen Mund?“

Nun ist das ja auch nicht recht, wenn Kinder so was zu einer erwachsenen Großmutter sagen. Also da wurde die Alte fuchsteufelswild und brachte kein Wort mehr heraus, sondern fraß das arme Rotkäppchen mit Haut und Haar auf. Und dann schnarchte sie wie ein Walfisch. Und draußen ging gerade der Jäger vorbei. Und der wunderte sich, wieso ein Walfisch in die Schwiegerstrasse käme. Und da lud er seine Flinte und zog sein langes Messer aus der Scheide und trat, ohne anzuklopfen, in die Stube.

Und da sah‘ er zu seinem Schrecken statt einem Walfisch die aufgedunsene Großmutter im Bett. Und – diavolo caraitro! – Da schlag einer lang an Deck hin ! – Es ist kaum zu glauben! – Hat doch das alte gefräßige Weib auch noch den Jäger aufgefressen. – Ja, da glotzt ihr Gören und sperrt das Maul auf, als käme da noch was. – Aber schert euch jetzt mal aus dem Wind, sonst mach ich euch Beine.

Mir ist schon sowieso die Kehle ganz trocken von den dummen Geschichten, die doch alle nur erlogen und erstunken sind. Marsch fort! Lasst euren Vater jetzt eins trinken, ihr – überflüssige Fischbrut!


 

Rotkäppchen – Wie es politisch korrekt erzählt wird

Es war einmal ein junger Mensch namens Rotkäppchen, sie lebte mit ihrer Mutter am Rande eines großen Waldes. Eines Tages bat ihre Mutter sie, ihrer Großmutter einen Korb frischen Obstes und natriumarmen Mineralwassers zu bringen. Dieses beileibe nicht, weil es sich hier um eine typische Frauenarbeit handelt, sondern weil eine derartige Handlungsweise hilft, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen.

Schließlich ist die Großmutter auch keinesfalls krank, sondern im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, von daher also durchaus in der Lage, ihr Leben als reife Erwachsene selbst in die Hand zu nehmen.

So streifte also Rotkäppchen mit ihrem Korb durch den Wald. Viele Menschen glaubten, der Wald sei gefährlich und voller dunkler Kräfte und setzten nie auch nur einen Fuß in seine Nähe. Rotkäppchen jedoch vertraute viel zu sehr Ihrer knospenden Sexualität, als daß derartig Freudianische Vorstellungen sie hätten einschüchtern können. Auf dem Weg zum Haus ihrer Großmutter wurde Rotkäppchen von einem Wolf angesprochen, der wissen wollte, was sie in ihrem Korb habe.

„Reformhauskost für meine Großmutter, die selbstverständlich alleine in der Lage ist, ihr Leben als reife Erwachsene zu führen.“ antwortete Rotkäppchen.

Der Wolf aber entgegnete:“ Weißt Du, Kleines, es ist gar nicht so ungefährlich für ein kleines Mädchen, sich in diesem Wald herumzutreiben.“

Sofort sagte Rotkäppchen:“ Ich finde Deine sexistische Bemerkung zwar außerordentlich beleidigend, bin jedoch bereit, diese zu ignorieren, da Du ein klassischer Außenseiter der Gesellschaft bist und der Streß dieses sozialen Status bei Dir zur Entwicklung eines eigenen, für Dich individuell gültigen Weltbildes geführt hat. Nun entschuldige mich aber, ich muß weiter.“

Und Rotkäppchen folgte weiter der Straße zum Haus ihrer Großmutter. Der Wolf aber, dessen Status als Außenseiter ihn von der sklavischen Verfolgung linearer, in der westlichen Kultur begründeten Denkmuster befreit hatte, wußte eine Abkürzung.

Er brach in das Haus ein und fraß die Oma, ein für einen Fleischfresser für sich genommen durchaus legitimes Verhalten. Nun aber, ungehemmt von starren, traditionalistischen Vorstellungen von männlichem und weiblichem Verhalten, legte er die Kleider der Großmutter an und kletterte in ihr Bett.

Als Rotkäppchen die Waldhütte betrat, rief sie: Großmutter, ich habe Dir ein paar fett- und cholesterinarme Lebensmittel mitgebracht um Dich in Deiner Rolle als weiser und nährender Mutter des Matriarchats zu stärken.“

„Näher, mein Kind, komm näher.“ ertönte es leise vom Bett.

„Oh je“, rief Rotkäppchen, „ich hatte ja ganz vergessen, daß Du optisch herausgefordert bist wie eine Fledermaus. Oma, was hast Du nur für große Augen!“

„Viel haben sie gesehen, und viel vergeben, meine Liebe.“

„Oma, was hast Du nur für eine große Nase. Selbstverständlich nur eher vergleichsweise und durchaus schön auf ihre eigene Art.“

„Viel hat sie gerochen, und viel vergeben, meine Liebe.“

„Großmutter, wie groß sind Deine Zähne!“

„Ich bin durchaus zufrieden mit meiner Identität und was damit zusammenhängt“ sagte der Wolf und sprang aus dem Bett. Sofort packte er sie mit seinen Klauen in der Absicht, sie alsbald zu verzehren.

Rotkäppchen schrie auf, nicht aus Besorgnis über des Wolfs offensichtliche Tendenz sich über bürgerliche Normen geschlechtsspezifischer Kleidung hinwegzusetzen, sondern wegen des bewußten Eindringens in ihre Privatsphäre. Ihre Schreie wurden von einem vorbeigehenden Holzfäller gehört (er selbst zieht es vor, sich als Ingenieur für nachwachsende Rohstoffe zu bezeichnen). Er stürmte sofort in die Hütte, nahm die Gefahr wahr, und wollte Rotkäppchen zu Hilfe eilen. Als er aber seine Axt hob, ließ der Wolf von Rotkäppchen ab und beide wandten sich ihm zu.

„Was glaubst Du eigentlich, was Du hier machst?“ herrschte Rotkäppchen ihn an. Der Holzfäller zuckte zusammen und er versuchte zu antworten, doch ihm fehlten die Worte. „Du platzt hier rein wie ein Neandertaler, im Vertrauen auf Deine Waffe, die Dir das Denken abnimmt“, schimpfte sie, „Sexist! Rassist! Was bildest Du Dir eigentlich ein, anzunehmen, Frauen und Wölfe könnten ihre Probleme nicht ohne die Hilfe eines Mannes lösen?“

Als die Großmutter Rotkäppchens leidenschaftliche Worte hörte, sprang sie aus dem Maul des Wolfs, ergriff die Axt des Holzfällers und hieb ihm den Kopf ab. Nach diesem Gottesurteil ergriff Rotkäppchen, ihre Großmutter und den Wolf ein eigentümliches Gefühl für die Gemeinsamkeit ihrer Interessen und so entschieden sie sich, eine auf gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme gegründete WG zu bilden, worin sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebten.

Gegendarstellung

Entschuldigen Sie bitte mein Herr, aber soeben las ich Ihre äußerst beeindruckende Dokumentation von diesem kleine frechen Gör genannt Rotkäppchen und dem Herrn Wolf. Leider mußte ich jedoch ausgerechnet bei dem Artikel „Rotkäppchen – politisch korrekt“ einen vulminanten Mißgriff feststellen:

Ich habe nämlich hier eine deutliche Verunglimpfung der Neandertaler-Rasse vernommen!

DAS nennen Sie politisch korrekt?

Ich bitte doch das richtigzustellen. Bitte verbreiten Sie folgende Gegendarstellung über Ihre Homepage:

„Noch niemals nicht haben wir Neandertaler uns von einer Axt das Denken abnehmen lassen. Wir benutzen ausschließlich Keulen, jawoll!“

Vielen Dank, mein Herr


 

Rotkäppchen – In der Computersprache

Ein technisch gepoltes Mädchen hatte sich aufgrund seines kopfbedeckenden Attributes unter dem AOL-Namen Rotkäppchen im Internet eingeklickt.

In ihrer Mailbox fand sie ein Telegramm ihrer Mutter: „Kind! Das Netzwerk Deiner Großmutter wird von Viren bedroht. Ich habe ein transaktiviertes Pflegemenü formatiert. Surfe Du zu Omas Homepage, und installiere es dort. Verirre Dich aber nicht im Dschungel der alten Computersprachen, und lasse Dich nicht durch Hacker von der markierten Datenbahn abbringen!“

Auf dem Weg zu Omas Homepage registrierte Rotkäppchen die Email eines Chatters mit dem symbolischen Namen Der Wolf. Der Wolf erschien zunächst sehr benutzerfreundlich, hatte im Background jedoch einen Interrupt vorprogrammiert. Er diskutierte mit Rotkäppchen über die Relevanz eines visuellen Blumenstraußes für die Oma und orderte das Mädchen zum Blumenfeld.

Der Wolf aber steuerte zeitgleich mit seinem High-Speed-Chip direkt auf den Account der Großmutter zu. Er klickte sich bis auf die Festplatte vor, wo er sämtliche Dateien der ungeschützten alten Dame durch einen Delete vereinnahmte. Um graphisch Kompatibilität zur Großmutter zu simulieren, plazierte er sich in deren Speicherplatz.

Sekunden später lokalisierte auch Rotkäppchen die Adresse der Großmutter und klickte sich erstaunt in den Speicherraum: „Großmutter, warum hast Du so ein großes Laufwerk?“ „Damit ich Dich besser chanceln kann“, informierte der Wolf und wandte auch auf Rotkäppchen einen Delete an. Dann begab er sich offline.

Zufällig hatte ein Firewall die Interrupts durch ein Window registriert. Unter Anwendung eines Suchprogramms peilte er die gechancelten Dateien im Hauptspeicher des Wolfes. Diesen dividierte er mittels eines Entpackungsprogrammes in diverse Sektoren, so daß Rotkäppchen und Großmutter nach Anwendung der Download-Funktion wieder als autonome Module erschienen. Als Inputs für die Festplatte des Wolfes funktionierten schließlich viele Kilobytes an transaktivierten Virenträgern. Durch die Expansion der Viren auf dem gesamten PC des Wolfes beim nächsten Online-Trip durch das Syndrom Storage Violation interrupiert.


 

Rotkäppchen – in der Sprache der Jugend

In dieser Story geht’s um sonen reichen Zahn, der wohl mords knackig aussah, aber durch die feine Family total out war. Jede Menge Klamotten und sonen Plunder, aber dafür immer auf liebes Mädchen machen und sonen Scheiß. Die fuhr da aber entweder voll drauf ab oder blickte überhaupt nich durch, jedenfalls machte se nie Rabbatz, sondern lief auch noch mit soner affigen roten Samtmütze rum, die ihr die Großmutter mal verpasst hatte. Jedenfalls durch selbige antike Dame kam dann die ganze Story ins Rollen. Die hatte es wohl irgendwie umgehauen, wie das bei diesen feinen Pinkeln ja immer so is. Jedenfalls lag se in ihrer Poofe flach und erwartet, dass die liebe Family anmarschiert kommt. Die Alten vom Zahn hatten da wohl aber auch nicht gerade den schärfsten Bock drauf, jedenfalls musste der Zahn jetzt mit sonem Fresskorb in den Wald latschen, wo der Nobelschuppen von der maroden Alten stand.

Und wie der Zahn so durch den Wald schnürt, kommt doch son haariger dunkler Typ angepirscht und ist unheimlich scharf auf den Zahn, weil der so heiß aussieht. Die ist aber durch ihre scheiß bürgerliche Erziehung total verklemmt und lässt ne unheimlich blöde Quatsche raus. Der Typ denkt wohl, dass er das schon irgendwie managet und macht auf romantisch, so mit Blümlein, Vöglein und heiteitei. Die kapiert aber wieder nich die Bohne was läuft und will immer nur für die abgeschlaffte Alte Blumen griffeln. Der Typ dreht fast durch, weil er den Zahn nicht krallen kann, will aber unbedingt zu Potte kommen. Die Story mit dem kranken Friedhofsgemüse hatte der Zahn ja beim Blumenknacken an ihn rangelabert. Also nix wie hin in die Villa, die alte Dame aus der Poofe geschmissen und sich schon mal selber reingehauen. Als der Zahn endlich angeschlurft kommt, schnallt der erst gar nix. Hat wohl seine Linsen nicht drin oder ist sonstwie ein bisschen behämmert. Vielleicht isse aber auch cleverer als se aussieht, steigt aber voll auf die Masche ein. Jedenfalls nach sonem bisschen Geplänkel von wegen großer Nase und Augen und so ist die Sache geritzt, der Typ griffelt sich den Zahn und vernascht ihn. Die Kiste wär ja auch ganz o.k. gewesen, wenn nicht die verklemmte Lady Zoff gemacht hätte. Vielleicht hättse auch selber nen Bock auf den Typ gehabt und war jetzt sauer. Bei dieser Sorte Weiber ist ja alles drin. Jedenfalls holt se sonen Flintenspezi als Verstärkung. Der spielt sich auch gleich als der dicke Macker auf und fuchtelt solange mit seiner Knarre rum, bis der Typ die Mücke macht, und ist auch noch stolz drauf. Die alte Lady macht sich jetzt unheimlich über den Fresskorb her und ist auch ganz happy. Nur für den Zahn war das natürlich unheimlich beknackt, dass ihre erste dicke Kiste so voll in die Hose gegangen ist.


Weitere Märchentexte: